Paschen als Ausweg im Corona-Lockdown vom Frühjahr 2020
Heute lechzen alle nach dem Ende der Pandemie. Was sie an ihrem Beginn im Frühjahr 2020 mit dem dreimonatigen Lockdown an der deutsch-tschechischen Grenze ausgelöst hat, zeigt eine Ausstellung im Centrum Bavaria Bohemia (CeBB).
Schon in der Nacht vom 13. auf den 14. März 2020 passierte es. Im Zuge der Pandemie-Bekämpfung riegelten die Regierungen in Berlin und Prag per Dekret vom 12. März die deutsch-tschechische Grenze in Bayern und Sachsen unter dem Begriff Corona-Lockdown hermetisch ab. Mitten in dieser Zeit suchte der an der Grenze zu Sachsen wohnende tschechische Germanist Jan Kvapil nach einen Ausweg für die Menschen, denen die plötzlich geschlossene Grenze wie ein Trauma vorkam. Die vor dreißig Jahren vom Stacheldraht befreite Staatsgrenze hatte längst ihre Schrecken verloren und wurde nirgends mehr als Hindernis wahrgenommen. „Und jetzt sowas“ dachte sich Jan Kvapil und erzählte bei der Ausstellungseröffnung im Gespräch von CeBB-Leiterin Veronika Hofinger mit den Akteuren von „Wir sind sousedé / My jsme Nachbarn“ über Start und Erfolg der Initiative. „Es war kompliziert, dann aber überraschend leicht“, über die am 22. April 2020 zusammen mit Stephan Messner gegründete Facebook-Gruppe Mitmacher für die Aktion „Samstage für Nachbarschaft“ zu finden. Wie in einem Schneeballsystem verbreitete sich die Botschaft. Bereits Mitte Mai hatte die Gruppe über tausend Freunde. Die Idee dahinter: Durch den über Monate dauernden Corona-Lockdown nicht alles kappen zu lassen, was sich davor zwischenmenschlich zwischen sächsisch-bayerischer-tschechischer Seite entwickelte.
Ein herzlicher Willkommensgruß von Veronika Hofinger galt weiter zwei besonders engagierten Akteuren, aus denen es bei der Ausstellungseröffnung nur so heraussprudelte, wie sie unter dem Lockdown litten und ihn mit den Samstagstreffen an markanten Grenzorten erträglicher machten. Einer war Bürgermeister Václav Bernard aus Všeruby (Neumark), Nachbarort und Partnergemeinde von Eschlkam im Landkreis Cham. „Die Hälfte der Berufstätigen in meiner Gemeinde mit rund 800 Einwohnern arbeitet in Deutschland. Seit 1990 haben wir endlos viel verknüpft, für uns gab es, Bayern nur ein paar Schritte entfernt, die Grenze in unserem Bewusstsein nicht mehr.“ Er erzählt von den engen Freundschaftsbanden in den Landkreis Cham und von den bayerisch-tschechische Familien, die daraus erwuchsen. Dann von heute auf morgen alles dicht im Corona-Lockdown. Da war ihm schnell klar, bei der Aktion Samstage für die Nachbarschaft sind wir dabei.
Der andere, Lars Helbig, kam aus Olbernhau, der „Stadt der sieben Täler“ im Erzgebirgskreis in Sachsen. Er verriet, dass bei den Samstagstreffen alte Pascherzeiten – „den Begriff Paschen kennt man auch bei uns im Erzgebirge“ – wieder wach wurden, als Bier und Schnapsflaschen, ja ganze Picknickkörbe bei den Samstagtreffen über die grüne Grenzlinie geschoben wurden. Seine Verbindungen als Vorsitzender der 2018 gegründeten Interessengemeinschaft „Klub Deutsch-Tschechische Partnerschaft“ mit über zweitausend Facebook-Followern führten letztendlich dazu, dass aus den Aktionssamstagen im April und Mai 2020, allein am 30. Mai parallel an 18 Orten, ein Ausstellungsprojekt des Tschechischen Nationalmuseums in Verantwortung von Lenka Šaldová wurde. Sie gehört zu den Verantwortlichen des Klubs und ist beruflich stellv. Abteilungsleiterin im Nationalmuseums. Ihr ist es gelungen, fast 1500 Fotos von diesen Treffen zu sammeln und in einer Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zu sehen sind fotografisch dokumentierte persönliche Geschichten von Menschen, die unter der Schließung der Grenze im Lockdown schmerzlich litten: Handgemalte Banner mit Botschaften an die Nachbarn, Kieselsteine, symbolische Papierblumen aus der Nachbarschaft, Fahnen, Tafeln, Liederbücher und riesige Holzhände, die an einer Schaukel befestigt sind und die sich aus der Ferne schütteln lassen.