Landschaft für den Menschen – Gespräch mit Dr. Tomáš Peckert
Der ehemalige Sperrbereich entlang der Grenze, der bis 1990 nur von wenigen Menschen betreten werden durfte, ist heute die wilde, unberührte Kernzone des „Grünen Bandes“ an der Grenze zwischen der Oberpfalz und dem Bezirk Pilsen.
2005 wurde der grenznahe Bereich der Landkreise Tachov und Domažlice zum Naturschutzgebiet (tschechisch: Chráněná krajiná oblast, abgekürzt CHKO) Böhmischer Wald erklärt, der zweithöchsten Schutzkategorie Tschechiens nach dem Nationalpark. Dr. Tomáš Peckert ist Direktor der Schutzgebietsverwaltung. Seine Arbeitszeit teilt er zwischen den Büros des Schutzgebiets in Pilsen und Přimda auf – wenn er nicht gerade im Schutzgebiet unterwegs ist und gemeinsam mit Bürgermeistern, Land- und Forstwirten Landschaftspflegemaßnahmen plant und umsetzt.
Herr Dr. Peckert, wie entstand das Schutzgebiet Böhmischer Wald?
Nach 1990 stellte sich die Frage, wie man mit dem ehemaligen militärischen Sperrgebiet an der Grenze umgehen sollte. Die meisten Siedlungen waren verschwunden, über vier Jahrzehnte hatte keine regelmäßige landwirtschaftliche Nutzung stattgefunden, nur wenige Menschen durften das Gebiet betreten. Die Initiative zur Gründung des Schutzgebiets ging von den grenznahen Gemeinden und dem Bezirk Pilsen aus. Sie erhofften sich aus dem Naturschutz einen Impuls für die Entwicklung des Tourismus.
Das Europäische Grüne Band kombiniert Naturschutz mit Erinnerungsarbeit und nachhaltiger Nutzung. Welche Besonderheiten hat der Böhmische Wald im Bereich der Biotope zu bieten?
Im Böhmische Wald gibt es wertvolle Biotope und ein insgesamt sehr gut entwickeltes Ökosystem, das seltenen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum bietet – in den Wäldern, Flussauen und Mooren leben Luchs, Schwarzstorch und Seeadler, es wachsen zahlreiche Orchideenarten. Besonders wertvoll sind die naturnahen Buchenwälder rund um den Čerchov, die Reste einst ausgedehnter Hoch- und Niedermoore bei Tachov und die Feuchtwiesen, beispielsweise am Oberlauf der Schwarzach bei Nemanice (Wassersuppen). An allen Wasserläufen tritt der Biber auf – einen Besuch wert ist die „Wasserwelt“ bei Tachov, wo der Biber ungestört ein ganzes Tal gestalten kann. Besucher finden hier gut zugängliche Rastplätze und Beobachtungsstationen.
Im Gebiet des Böhmischen Waldes befinden sich über 70 untergegangene Ortschaften. Welche Rolle spielt die Geschichte für das Schutzgebiet?
Einzigartig wird die Landschaft des Böhmischen Waldes erst durch die Spuren der früheren Besiedlung, die hier besser erhalten sind als anderswo. Angesichts der Reste von Alleen, Wegen, Wiesen, Mühlen, Sägen und Hammerwerken, sakralen Denkmälern, Haus- und Obstgärten können wir uns in eine andere Zeit zurückversetzen. Die Erhaltung des gesamten Landschaftscharakters ist daher das wichtigste Ziel des Schutzgebietes. Deswegen sind auch die Ortswüstungen, die nach 1945 entstanden, Teil des Schutzgebietes. Die bestehenden Ortschaften dagegen wurden aus dem Schutzgebiet ausgenommen.
Erholungssuchende finden im Böhmischen Wald als Folge der Grenze eine Ruhezone, die nicht überall mit motorisierten Fahrzeugen zugänglich ist. Aber auch einem Aktivurlaub zu Fuß oder mit dem Rad steht nichts im Wege.
Welche Aufgaben hat die Schutzgebietsverwaltung?
Naturschutz dient immer dem Menschen – der Sicherung seiner Lebensgrundlagen, der Stabilisierung der Ökosysteme, aber auch der Freizeit, der Erholung, der Bildung.
Zu unseren Aufgaben gehören Landschaftspflegemaßnahmen in den wertvollsten Gebieten, die wir in Zusammenarbeit mit den Eigentümern der Flächen umsetzen. Die Mitarbeiter kontrollieren regelmäßig den Zustand der Biotope und der Bestände an seltenen Arten. Besonders intensiv wird der Biber und der Wolf beobachtet, um frühzeitig Konfliktpotentiale zu erkennen und gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten. Sehr wichtig ist uns die Kommunikation mit der Öffentlichkeit und die Umweltbildung. Wir möchten ein positives Verhältnis zur Natur und zur Landschaft der Region vermitteln und erklären, warum für den Naturschutz bestimmte Einschränkungen notwendig sind.
Mittlerweile gibt es zwei stabile Wolfsrudel im Gebiet des Böhmischen Waldes. Wie geht das Naturschutzgebiet damit um?
Der Wolf lebt in Familienverbänden, Elterntiere mit Jungtieren. Ein solcher Verband lebt im Bereich zwischen Železná und Rybník, der zweite im Bereich um Stará knížecí hutě und Lesná. Natürlich ist der Wolf ein Thema, an dem sich die Geister scheiden und das auch in den Medien oft polarisierend dargestellt wird. Der Wildbestand in der Region ist sehr hoch und wird durch die Jagd nur unzureichend reduziert, was zu Waldschäden führt. Der Wolf findet daher ein hohes Angebot an Beutetieren und man könnte sagen: Der Wolf hilft auf archaische Weise, den Wald zu erneuern. Schäden an Weidetieren, insbesondere Schafen, kommen aber dennoch vor und werden kompensiert. Mit Zuschussprogrammen wird der Bau von Herdenschutzzäunen unterstützt.
In welcher Form findet Umweltbildung statt?
Wir bieten regelmäßig geführte Wanderungen an, die in Zusammenarbeit mit dem Centrum Bavaria Bohemia teilweise auch zweisprachig stattfinden, und errichtet Lehrpfade und Rastplätze. Im Haus der Natur in Klenčí pod Čerchovem finden Besucher eine Dauerausstellung und Lernangebote für Schulen und Gruppen. Der „Tag des Böhmischen Waldes“ – heuer am 17. September in Diana bei Rozvadov – ist dieses Jahr dem Thema „Alte Obstsorten“ gewidmet.
Die Beziehung zwischen Mensch und Natur bringt auch Konflikte mit sich. Lassen sich Naturschutz und Tourismus, wirtschaftliche Entwicklung verbinden?
Ganz vermeiden lassen sich Konflikte nicht. Selbst zwischen den unterschiedlichen Wünschen und Erwartungen der Touristen gibt es Konfliktpotential – die einen möchten ihren Urlaub möglichst aktiv verbringen, die anderen wünschen sich größtmögliche Ruhe und Einsamkeit. Um eine ausgewogene, nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen arbeiten wir an einem Gebietskonzept für Naturschutz und Tourismus, das auf die bereits veröffentlichte Studie aufbaut (https://ochranaapoznavaniceskeholesa.eu/de/projekt-de).
Das Alleinstellungsmerkmal des Böhmischen Waldes – etwa im Vergleich zur Šumava – soll sicher die Ruhe und Unberührtheit bleiben. In den größeren Orten muss aber noch mehr touristische Infrastruktur entstehen, denn sie sind der Ausgangspunkt zum Entdecken der Landschaft.
Was erwarten Sie von der Initiative „Europäisches Grünes Band“ für den bayerisch-tschechischen Grenzraum?
Das Grüne Band ist ein Synonym für die Verbindung von Naturschutz mit nachhaltigem Tourismus. Das eine geht nicht ohne das andere. Das Grüne Band ist eine Plattform, die die Kommunikation über die Grenze hinweg verbessern kann. Wir sollten beispielsweise Rad- und Wanderwege noch stärker gemeinsam planen und verbinden und uns darauf einigen, welche Bereiche wir für Besucher besonders gut zugänglich machen und welche Rückzugsbereiche wir für Tiere und Pflanzen schützen wollen.
Welche Ziele empfehlen Sie, um das Schutzgebiet Böhmischer Wald zu entdecken?
Wir legen Rastplätze und Lehrpfade an Orten an, die verkehrstechnisch gut erschlossen sind und im Rahmen kürzerer, familienfreundlicher Wanderungen erreichbar sind. Neben der bereits erwähnten „Wasserwelt“ bei Lesná ist das z.B. das in der Nähe gelegene Moorgebiet „Podkovák“ oder im Süden am Fuß des Čerchov die Wiesenlandschaft von Capartice, wo zahlreiche Orchideenarten blühen. Um die frühere Nutzung der Wasserkraft zu verdeutlichen wurde hier ein Modell eines Wasserrads installiert, das gerade für Kinder interessant ist.
Herr Dr. Peckert, wir danken für das Gespräch.